Der Feminismus steckt in der Krise. Die Kritik, die derzeit am lautesten ist, ist jene, dass er sich hauptsächlich mit Sexismus und Gleichbehandlung von privilegierten Frauen beschäftigt. Er sollte aber tiefer gehen und alle Formen von Diskriminierung innerhalb der Gesellschaft ansprechen und vertreten. Ein Plädoyer für die Solidarität.
von Stefanie Braunisch und Karina Krenn

Eine Frau wird bei der Arbeit von einem Mann immer wieder angemacht, als „Schoko-Stückchen“ bezeichnet und fühlt sich dabei unwohl. Klares NoGo für Feminist*innen und eine eindeutige Herabwürdigung der Frau, weil sie eine Frau ist. Oder? Wie sieht es jetzt aus: Eine Frau mit dunkler Hautfarbe wird bei der Arbeit von einem Mann immer wieder angemacht, als „Schoko-Stückchen“ bezeichnet und fühlt sich dabei unwohl. Geht es hier nur mehr um das Frau-sein oder geht die Diskriminierung tiefer?
Seit einiger Zeit wird dem Feminismus vorgeworfen, nicht alle Erfahrungen von Diskriminierung zu vertreten und dass es ausschließlich um jene der Frau geht. Es sollte beim Feminismus aber um wesentlich mehr als nur die Sichtbarkeit von Frauen gehen und schon bei der Definition gibt es unzählige Ausprägungen. Eine umfassende Erklärung, was Feminismus ist, ist deshalb kaum möglich. Eine Form zeichnet sich besonders durch den Aspekt der Solidarität aus und kann zur Aufarbeitung aktueller Probleme beitragen: Der intersektionale Feminismus.
Sexismus allein ist oft nicht die einzige Diskriminierung
Spätestens seit der #metoo-Debatte vor zwei Jahren hat der Feminismus als vereinende Kraft unter Frauen, die für gleiche Rechte kämpfen, diese vereinende Kraft verloren. Damals protestierten Frauen weltweit unter dem Hashtag #metoo ihre diskriminierenden Erfahrungen und das in einer Diversität, die früher oder später für viel Kritik sorgte – vor allem untereinander. Denn wer sind die Frauen, die sich am #metoo-Diskurs beteiligen, werden sie alle gleich gehört? Ein Fact, der nicht erst seit #metoo spürbar war: Denn nein, Frauen werden nicht gleich gehört, es gibt Unterschiede in der Wahrnehmung von Frauen.
Ein Beispiel: Eine Frau, die Kopftuch trägt und das auch frei entscheidet, wird schnell als unmündig oder nicht selbstbestimmt wahrgenommen. Ihr wird möglicherweise vorgeworfen, dass sie sich anti-feministisch verhält, weil sie sich von der Religion und von den Männern ihrer Kultur unterdrücken lässt. Ähnlich war es bei #metoo: Der Hashtag entstand Jahre vor dem Weinsteinskandal und sollte die sexuelle Gewalt gegenüber afroamerikanischen Frauen sichtbar machen. Für den Start einer internationalen Bewegung war aber erst ein High-Profile-Skandal in der Elite Hollywoods nötig. Erst danach wurde durch #metoo erneut die Rolle von sexueller Gewalt gegen Frauen und besonders die Auswirkungen auf farbige Frauen angeschaut.
Und das ist die Kritik am Feminismus: Er wird oft von weißen, gesunden, gut verdienenden Frauen geführt. Und sollte in seiner Debatte ein bisschen mehr sein als Frauenquote, Selbstbestimmung und weibliche Führungspositionen. Er sollte intersektional sein. In der Gesellschaft, in der wir leben und uns als Feminist*innen bezeichnen, haben demnach kopftuchtragende Frauen etwas weniger Berechtigung für den Feminismus als Frauen, die kein Kopftuch tragen. Ihr Kopftuch spricht lauter als ihre Stimme darunter.
Frauen werden nicht nur aufgrund des Frau-seins benachteiligt, sie werden es aufgrund von Herkunft, Hautfarbe, Alter, Kultur. Sie werden daran gemessen, ob sie viel oder wenig oder gar nichts verdienen. Sexismus im Allgemeinen und Diskriminierung von Frauen an sich ist ein wichtiges Thema, das angesprochen und gegen das vorgegangen werden muss. Nur: Die Überwindung von sexistischer Diskriminierung von Frauen führt nicht automatisch dazu, dass sich andere Formen der Diskriminierung in Luft auflösen. Deswegen ist eine Befreiung der Frau insofern auch nicht möglich, weil es die eine einheitliche Frau nicht gibt. Und diese Unterschiede muss der Feminismus wieder beachten.
Historische Zusammenarbeit und Überschneidung im Kampf für gleiche Rechte
Feministische Strömungen haben schon in der Vergangenheit mit anderen Bewegungen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, zusammengearbeitet. In den 1970ern begann die sogenannte zweite Frauenbewegung Seite an Seite mit der Schwulen- und Lesbenbewegung zu kämpfen. Beide Gruppen erlebten zwar teilweise unterschiedliche Formen der Diskriminierung, wollten aber dasselbe: Gleich viel Rechte wie Männer bzw. Heterosexuelle. Daher machte es Sinn, nicht nur die Forderungen, sondern auch die Kräfte dafür zu bündeln. Die Zusammenarbeit und die Solidarität zueinander zeigte Erfolg – für alle Beteiligten. Die Frauenbewegungen hatten Jahre zuvor das Wahlrecht erzielt, in den 70ern ging es stark um die gesetzliche Emanzipation von Ehemännern. Diese Änderungen des Familienrechts waren so besonders für lesbische Frauen ein Fortschritt. Schließlich musste so nicht mehr ein Mann gefunden werden, um etwa arbeiten zu können.
Die Verschmelzung von den unterschiedlichen Kräften im Kampf gegen Diskriminierungen aller Art würde auch heute zum Vorteil aller Beteiligten sein und könnte „dem Feminismus“ neuen Wind verpassen. Außerdem wären damit auch wieder jene angesprochen, denen der derzeitige Feminismus zu sehr auf Identitätspolitik setzt. Die theoretische Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Debatten über Frauenquoten in Führungspositionen haben oft zu wenig mit dem Alltag vieler Frauen zu tun – so wird beispielsweise auch Trumps Wahlerfolg teilweise darauf zurückgeführt. Die anti-feministische Wahl für Trump – besonders unter weißen Frauen – komme daher, dass feministische Ziele nicht mehr im eigenen Leben vorkommen und es daher keinen sonst zu erhoffenden Konflikt zwischen allgemein politischen und spezifisch feministischen Wahlmotiven kam. Auch hier: Es fehlt die Solidarität untereinander.
Gender Studies
Einen weiteren Beweis dafür, dass Feminismus nicht nur die Frau vertritt, liefern die Gender Studies. Denn neben der Forderung nach gleichen Rechten, hat der Feminismus auch zur Ursachenforschung für die verschiedenen gesellschaftlichen Rollen geführt. Allein das Fach Gender-Studies hatte im Laufe der Jahrzehnte einen immensen Einfluss auf das Bild unserer Gesellschaft. Schließlich haben Gender-Studies entgegen des geläufigen Bildes einen wissenschaftlichen Anspruch und setzen sich mit weitaus mehr als Diskussionen über Gendersternchen auseinander.
Durch die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und den sozialen Konstrukten hinter Geschlechtern wurde nämlich auch eine Türe aufgestoßen, Sexualität neu zu definieren und eben die damit verbundenen Annahmen von Geschlecht. Das änderte den Blick auf Homosexualität, die Definition von Geschlecht und hat damit einen Beitrag geleistet, neben LG auch zur Anerkennung von Bi-, Trans-, Intersexualität und Queerer Sexualität.
Gemeinsame Ziele
Traditionell entsteht ein Fortschritt zwar von oben nach unten – wie beispielsweise beim Frauenwahlrecht. Die wohlhabenden Suffragetten aus der Oberschicht durften unter der Bedingung von Eigentum in Großbritannien ab 1918 wählen, alle anderen Frauen erst 1928. Doch diese Trickle-Down-Entwicklung war unter Männern genauso, unabhängig vom Geschlecht wurde wenige Jahrzehnte später mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA der Anfang vom Ende der Rassentrennung eingeleitet.
Diese Beispiele zeigen, wie ein Schritt zu Gleichberechtigung den nächsten herbeiführen kann. So zeigt aktuell etwa die Bewegung rund um den Guilty Feminist Podcast, wie intersektionaler Feminismus aussehen kann. Die Gründerin Deborah Frances-White sieht im intersektionalen Feminismus die Aufgabe, mehrere Diskriminierungen gleichzeitig aufzuheben. Ihre Panels sind deshalb üblicherweise mit mindestens einer nicht heterosexuellen Person besetzt, mindestens eine Frau, die nicht weiß ist und regelmäßig zählen Aktivistinnen oder Frauen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten.
Egal, ob es um das oben genannte Beispiel geht, um soziale Gerechtigkeit, um Kinderbetreuungsmöglichkeiten für bessere berufliche Chancen, um Fortpflanzungsrechte, um Entscheidungsfreiheit, Anerkennung von Geschlecht oder die Prävention von Altersarmut – Feminist*innen brauchen wieder mehr Breite und mehr Sichtbarkeit für alle Formen von Diskriminierung. Wo Menschen, insbesondere Frauen, benachteiligt sind, kann intersektionaler Feminismus durch das aktive Engagement gegen alle Formen von Diskriminierung für ein größeres Bewusstsein, für soziale Gerechtigkeit sorgen. Und genau dafür ist der Feminismus ja auch da.
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