Seit dem Eintritt Tschechiens in die Europäische Union 2004 ist die Anzahl der Kulturlandvögel stark zurückgegangen. Schuld daran ist unter anderem die Gemeinsame Agrarpolitik, weil diese Großbauern und Monokulturen stärker fördert. Tschechiens landwirtschaftliche Betriebe sind im Vergleich mit anderen EU-Ländern überdurchschnittlich groß. 1000, 2000 oder sogar 5000 Hektar große Betriebe sind keine Seltenheit. Wie sehr Tschechiens Landwirtschaft noch immer von ihrer kommunistischen Vergangenheit geprägt ist und was sich in der EU Agrarpolitik ändern muss, hat sich unsere Reporterin vor Ort angesehen.
von Lisa Lugerbauer
Blíževedly, Nordböhmen. Moosgrüne Espadrilles, ein freundliches Lächeln, blondes Haar. Erich Vodňanský ist gelassen, denn die diesjährigen Ernteausfälle halten sich in Grenzen. Die spätsommerliche Sonne scheint und kleine weiße Wölkchen ziehen über den Himmel. Die warmen Temperaturen schmeicheln dem in Beige gestrichenen Bauernhof. Es ist erst der zweite Tag der Hopfenernte. Nicht das optimale Wetter, um den würzigen Geschmacksträger des Bieres zu ernten, der feuchte Temperaturen bevorzugt. Erich ist 34 Jahre alt, Landwirt in Tschechien und gebürtiger Wiener. Vor nicht einmal zehn Jahren hat der studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler den landwirtschaftlichen Betrieb seines „Opis“ übernommen, wie er seinen Großvater liebevoll nennt. Schon während des Studiums hat er den Hof von Wien aus sukzessive vergrößert und technisch modernisiert – von dem einst desolaten Zustand unmittelbar nach dem Fall des Kommunismus ist nichts mehr zu erkennen.
Produktion im Einklang mit Biodiversität
Auf etwa 300 Hektar baut Erich mit seiner Familie Feldfrüchte an – Weizen, Raps, Roggen sowie Rotklee als Saatgutvermehrung aber auch Braugerste, Erbsen und Bohnen gedeihen auf den Feldern. Alle paar Jahre wechseln sie sich auf den Feldern ab. Auf weiteren acht Hektar wächst der Hopfen, ab dem Herbst 2019 dank einer Förderung der EU sogar auf 10 Hektar. Auf 200 Hektar weiden 110 Fleischrinder und galoppieren vier Pferde. 20 Hühner, ein paar Bienenstöcke, ein Hund und eine Katze verteilen sich auf dem Rest der Fläche. Dazwischen finden sich immer wieder Hecken, Gebüsch, Bäume, ein großer Teich, Mauern, Wildblumenstreifen und kleine Wege.
Laut dem Agraratlas haben die „ökologischen Vorrangflächen“, die die Agrarbetriebe bei der EU angemeldet haben, für die Artenvielfalt wenig bewirkt. Dabei werden Landschaftselemente wie Hecken, Randstreifen und Mauern sowie Brachen – wie sie sich auch auf Erichs Betrieb befinden – als für die Artenvielfalt bedeutsam angesehen. Stickstoffbinder wie Leguminosen (Erbsen und Bohnen) und Zwischenfrüchte gelten für die Artenvielfalt hingegen kaum als bedeutsam. Ein großes Problem der Gemeinsamen Agrarpolitik wird in den Direktzahlungen gesehen. Insgesamt gibt die EU 39 Prozent des Gesamtbudgets für den Haushaltstitel „Nachhaltiges Wachstum, natürliche Ressourcen“ aus. Aus diesem Topf erhält die Gemeinsame Agrarpolitik 97 Prozent. Annähernd drei Viertel dieser Mittel, das sind in der aktuellen Förderperiode von 2014 bis 2020 fast 300 Milliarden Euro, fließen dabei in Direktzahlungen, die die Intensivierung der Landwirtschaft fördern – wie Getreideanbau und intensive Tierhaltung. Diese Zahlungen werden entsprechend der Größe der landwirtschaftlich genutzten Fläche geleistet und sind kaum an die Kriterien für Nachhaltigkeit gebunden.
Ein Pionier auf seinem Feld
Erich missfällt die Struktur der tschechischen Landwirtschaft. Ihm war schon immer klar, dass er Dinge anderes machen wolle. „In Tschechien ist es keine Seltenheit 1000, 2000 oder sogar 5000 Hektar große Betriebe zu haben. Wir sind mit unseren 550 Hektar auch kein Sonnentor-Betrieb aus dem Waldviertel, die ich sehr bewundere. Unsere Feldgrößen sind ganz klar andere. Wir haben 10 Hektar und 20 Hektar Felder. Aber man muss sagen, wir haben beispielsweise ein 40 Hektar-Feld gedrittelt und mit Blühstreifen umrandet“, sagt Erich. Insgesamt gibt es mehr als 10 Hektar Blühstreifen, die als Nektarweiden für die Bienen dienen. „Wir versuchen fast auf jedem Feld Blühstreifen und Hecken zu integrieren, das ist auch eine Sache, die ich im Rahmen des Förderprogramms der Europäischen Union als sehr sinnvoll erachte. Wir würden das aber auch machen, wenn es nicht in dieser Art und Weise gefördert werden würde“, fügt Erich hinzu. Denn er weiß, dass Tiere wie Vögel und Insekten zu einem gut funktionierendem Ökosystem dazugehören.

Aber Geld spielt eben auch eine Rolle. Erich gibt zu, dass er früher auch intensiver gewirtschaftet hat. Als er den Hof frisch übernommen hat, waren die Fruchtfolgen sehr Raps und Weizen lastig. „Aus wirtschaftlicher Sicht war das sehr wichtig, schließlich standen noch einige kostspielige Modernisierungsmaßnahmen im Raum“, sagt er.
Der junge Landwirt würde sich gerne noch mehr für Biodiversität auf seinen Feldern einsetzen – ohne ständig die Wirtschaftlichkeit im Hinterkopf zu haben. Vergangenes Jahr ist er ein Risiko eingegangen, um die Biodiversität auf seinen Feldern zu fördern und Weizen und Raps weniger Platz auf seinen Feldern zu geben. Bei der Frühjahrsaussaat hat er auf einer Fläche von 70 Hektar Leguminosen angebaut, die den Boden nachhaltig verbessern sollen – 40 Hektar Erbse und 30 Hektar Ackerbohne. Allerdings sind sie anfälliger für Ernteausfälle als Weizen und Raps. Leguminosen sind ökologischen Vorrangflächen zuzuordnen und somit ein Schritt Richtung mehr Biodiversität – auch wenn sie laut dem Agraratlas keine Wunder vollbringen können.
Auch klimatische Veränderungen erschweren seine Bemühungen um Diversität. „Frühjahrsaussaaten sind immer anfälliger als Herbstaussaaten aber mit einem Totalausfall haben wir nicht gerechnet“, erzählt Erich. Diese Totalausfälle, die auf das äußerst trockene Klima zurückzuführen sind, konnten nur durch die Erträge von Raps, Weiz und Hopfen kompensiert werden. „Es gab Kompensationsmaßnahmen vom tschechischen Agrarbudget, jedoch waren Leguminosen in dieser Katastralgemeinde nicht aufgelistet und somit fielen sie in keine Entschädigungskategorie. So mussten wir einen fünf-jährigen Erntedurchschnitt bei Erbse und Ackerbohne nachweisen – wie sollte ich das machen, wenn ich die Erbse vier Jahre mache und die Ackerbohne erst ein Jahr?“, fragt Erich und äußert den Wunsch, hier einen größeren Rückhalt zu haben.
Seit Jahrzehnten in Familienbesitz
Wer sich mit Tschechiens Landwirtschaft beschäftigt, kann die kommunistische Vergangenheit nicht leugnen. Auch auf Erichs Hof ist sie in jeder Ritze der alten Mauern spürbar. „Statek Vodňanský“ blickt auf eine ereignisreiche Geschichte zurück, die laut dem jungen Landwirt bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. „Damals war der Hof im Besitz der gotischen Ritterburg Ronov und der Hof hat im 11. und 12. Jahrhundert zur Ritterburg gehört“, erzählt Erich. Deren Burgruine situiert sich auf dem gleichnamigen 552 Meter hohen Basaltberg, der das Landschaftsbild Blíževedlys maßgeblich prägt. Seit der Ersten Tschechischen Republik ist der landwirtschaftliche Betrieb im Familienbesitz. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg hat sein Großvater den damals 100 Hektar großen Hof gekauft und begonnen ihn zu bewirtschaften. Während des Zweiten Weltkriegs hat die Familie den Hof aufgrund ihrer tschechischen Herkunft verloren. „Wir sind hier im ehemaligen Sudentenland, damals gab es nur wenige tschechische Familien hier. Uns und ein paar andere. Meine Urgroßeltern haben sich damals geweigert, ihre Kinder in deutsche Schulen zu geben. Dann haben wir den Hof verloren.“, erklärt Erich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Hof zurück in den Besitz des Großvaters gegeben, aber nur für kurze Zeit. „Denn dann kam der Kommunismus“.
Am 25. Februar 1948 fand die vollständige Machtergreifung durch die Kommunisten in der damaligen Tschechoslowakei statt. Es kam zur Verfassungsänderung und Umgestaltung des Landes nach sowjetischem Muster. Der Grundbesitz wurde auf 50 Hektar limitiert. In den kommenden Jahren wurden viele Landwirte deren Höfe beraubt und diese unter staatliche Aufsicht gestellt. Es begann die Zeit der Kollektivierung ländlicher Gebiete und der Auflösung traditioneller Werte. Es wurde ein System der landwirtschaftlichen Überproduktion geschaffen. Die Kollektivierung nach sowjetischem Vorbild verursachte viel Schaden für Natur und Umwelt. Jahrhundertealte Flurgrenzen wurden aufgeackert, Bäche kanalisiert, Grundwasser und Erdboden teils mit Chemikalien verseucht. Erichs Großvater hat nach dem Fall des Kommunismus den Hof in Restitution zurückbekommen – in völlig desolaten Zustand. „Was der Kommunismus in 60 Jahren angerichtet hat ist furchtbar. Bis heute sind die Auswirkungen in der Struktur der tschechischen Landwirtschaft zu erkennen“, sagt Erich. Sein Großvater hat anschließend begonnen, den Hof wiederaufzubauen und Hopfen anzubauen. Weltweit ist Tschechien nach der USA und Deutschland der drittgrößte Hopfenproduzent. Dabei führt die Region Saaz – an die Erich Vodňanskýs Betrieb in der Region Ausschau direkt angrenzt.
Von 100 Hektar auf 550
Erich war schon während des Studiums in Wien klar: Sollte er den Hof übernehmen dann sind 100 Hektar nicht genug, um langfristig für seine Familie zu sorgen. „Ohne Flächenzuwachs wäre keine Perspektive für mich da gewesen“, sagt Erich und trinkt von seinem Wasserglas. Wir sitzen an einem Tisch im Hof des langgezogenen Vierkanters. Neben uns wachsen Blumen, im Hintergrund picken Hühner Essbares vom Boden. Während Erich mir weiter von seiner Familiengeschichte erzählt, streicht die Katze um unsere Beine und verlangt nach Streicheleinheiten. „Die Grundstückspreise waren damals billig und so kaufte ich mehr als 220 Hektar zu“, sagt er. Gemeinsam mit den Pachtflächen der Katholischen Kirche bewirtschaftet er heute eine Fläche von insgesamt 550 Hektar. Damit ist Erich weit über dem tschechischen Durschnitt.
Laut dem Agraratlas liegt die durchschnittliche Fläche von tschechischen Betrieben bei 133 Hektar. Das entspricht knapp der Größe des 7. Wiener Gemeindebezirks. Tschechien führt damit das Ranking um die durchschnittlich größten Betriebe innerhalb der Europäischen Union an, während Rumänien mit drei Hektar das Schlusslicht bildet. Rund 75 Prozent aller tschechischen Bauern wirtschaften auf gepachteten Flächen. Auch das geht auf die Kollektivierung der 50er Jahren zurück. Damals wurden die Grundstücke in Landwirtschaftsgenossenschaften eingegliedert, als sie nach 1989 an ihre ursprünglichen Besitzer oder deren Nachkommen zurückgegeben wurden, hatten diese Menschen häufig einen anderen Beruf erlernt und wollten nicht in die Landwirtschaft zurück. Daraufhin verpachteten viele ihre Agrarflächen.
Neben der Klimakrise nennt der junge Landwirt den Arbeitskräftemangel als weitere Problem. Denn wie auch in anderen Ländern zieht es die jungen Menschen immer weniger in die Landwirtschaft. Zurzeit arbeiten rund 100.000 Menschen auf tschechischen Äckern und Feldern. Vor noch 25 Jahren waren es gut dreimal so viele. Als Grund dafür gelten die niedrigen Löhne in der Landwirtschaft. Mit rund 22.000 Kronen, umgerechnet um die 815 Euro, verdienen die Beschäftigten rund ein Viertel weniger als der tschechische Durchschnittsarbeitgeber. Erich beschäftigt selbst drei ständige Mitarbeiter – bei der Hopfenernte holt er sich Saisonarbeiter aus der Slowakei. Diese rekrutiert er mittlerweile über eine Agentur. „Das ist die einzige Möglichkeit, schnell an 15 Leute zu kommen und eine Feldfrucht wie den Hopfen bewirtschaften zu können“.

Am Wochenmarkt: Bio oder konventionell?
Am Tylovo námêstí nicht weit von der U-Bahn Station Pavlova herrscht reges Treiben. Frisch gepflückte Erdbeeren, Äpfel und Birnen türmen sich neben farbenfrohen Gemüsesorten unter den gelben Dächern der Markstände. Zwischen diesen spazieren Touristen und Einheimische, kosten selbst gemachte Säfte oder Honig. Bauernmärkte sind in Prag keine Seltenheit. Während der wohl beliebteste Bauernmarkt jener auf der Promenade zwischen der Palacký und der Eisenbahnbrücke ist und nur samstags geöffnet hat, ist der Tylovo námêstí unter der Woche geöffnet. An einem Stand mit gelben Zucchini lerne ich die junge Landwirtin Bara kennen. Sie trägt kurze Haare und ein blau-weiß gestreiftes T-Shirt. Auf ihrer Nase finden sich eine Handvoll Sommersprossen.
Bara bestätigt den Eindruck, dass es schwer ist junge und motivierte Arbeitskräfte in der Landwirtschaft zu finden. Sie bewirtschaftet gemeinsam mit ihrer Familie einen rund 250 Hektar großen Betrieb in der Nähe von Prag, manche Felder grenzen malerisch an die Moldau. Dreimal pro Woche fährt sie zum Bauernmarkt Tylovo námêstí, um Obst und Gemüse zu verkaufen. Die anderen Arbeitstage verbringt sie am Hof. Bara betont, dass die Arbeit in der Landwirtschaft hart ist aber sie in ihrem speziellen Fall die Abwechslung vom Verkauf in der Stadt und Arbeit am Hof sehr gerne mag. Sie macht sich keine großen Sorgen um die Zukunft: „Because people need good food“, sagt sie und grinst. Ihre Erzeugnisse sind nicht biologischer Herkunft, sondern aus konventionellem Anbau und das aus gutem Grund. Für sie würde biologischer Anbau weitere Auflagen und Büroarbeit bedeuten, für die sie eine weitere Person einstellen müssten, die auch das entsprechende Know-How für diese Arbeit mitbringt.
In Europa liegt der Anteil an biologisch bewirtschafteter Fläche, gemessen an der landwirtschaftlichen Fläche bei 2,7 Prozent und in der EU bei 6,7 Prozent. In Tschechien werden 489.000 Hektar ökologisch bewirtschaftet – damit zählt Tschechien zu den Öko-Vorreitern Europas
Im Gegensatz zu Baras Betrieb verkauft Erich seine Erzeugnisse nicht auf dem Wochenmarkt. Seine Kunden sind größer – Finis Feinstes zum Beispiel. Dabei ist „Statek Vodňanský“ ebenfalls kein biologischer Betrieb. Während die Grünlandbewirtschaftung im Grunde biologisch ist – nur eben nicht zertifiziert – kann sich Erich den Hopfen nicht biologisch vorstellen. Zu hoch scheint ihm das Risiko eines Pilzbefalls. Aber nicht nur das, auch findet Erich, dass eine biologische Landwirtschaft auch nicht die Lösung auf alle Probleme ist. „Die Gesellschaft neigt oft dazu zu sagen, dass Bio gut ist und konventionelle Landwirtschaft schlecht. Es gibt gute Argumente für den Bio Landbau und gute Argumente für den konventionellen Anbau – das muss auch einmal gesagt werden. Beispielsweise habe ich im konventionellen Landbau eine weitaus geringere Treibstoffbelastung. Ich verwende beim Bio Anbau zwar keine Pflanzenschutzmittel, fahre aber mechanisch viel öfter in die Felder. Meines Erachtens nach, ist der richtige Weg, das Beste der beiden Weisen zu vereinbaren“, sagt Erich.
Erichs Bemühen um Biodiversität und Artenschutz machen sich nicht nur auf den Feldern bezahlt. Im Rahmen eines Programms der Vereinigung für private Landwirtschaft wurde der Familienbetrieb für seine „blütenreiche Landschaft“ mit einer Goldmedaille geehrt. Beim einem weiteren Bewerb um den Titel „Farm des Jahres“ belegte „Statek Vodňanský“ den 5. Platz. „Es waren wirklich sehr viele gute Betriebe dabei, die den Vergleich zu anderen europäischen Betrieben nicht scheuen müssen“, sagt Erich. Nicht nur das, auch das Fernsehen war für eine Debatte zum Thema „Lebensmittelverschwendung“ schon zu Besuch.
Die Verantwortung der Gemeinsamen Agrarpolitik
Auch wenn Erichs Bemühungen in die richtige Richtung gehen, ist das Artensterben – wie auch in allen anderen EU-Ländern – bittere Realität. Vor allem im Kulturland ist der Artenschwund signifikant. Seit 1990 ist allein bei 39 in Tschechien vorkommenden Vogelarten ein Rückgang von 30,9 Prozent zu verzeichnen. Dabei trifft es manche Arten besonders schlimm. Die Blauracke und der Rotkopfwürger gelten in Tschechien als Brutvögel als ausgestorben. Auch konnte bei der Großtrappe seit 2006 keine Brut mehr nachgewiesen werden. Andere Vogelarten wie Steinkauz, Haubenlerche, Schleiereule, Rotschenkel und Uferschnepfe weisen eine besorgniserregende niedrige Anzahl an Brutpaaren auf – in nur wenigen Jahren könnten auch diese von Tschechiens Wiesen und Feldern verschwunden sein. Beim Kiebitz und dem Rebhuhn ist es der rasante Rückgang der Bestände, der Vogelfreunde erschrecken lässt, erzählt Václav Zámečník, Agrarexperte bei Česká společnost ornitologická, der Tschechischen Gesellschaft für Vogelkunde und Partnerorganisation von BirdLife International während er an einem Cider nippt.
Zámečník arbeitet schon über 15 Jahre bei der Vogelschutzorganisation und ist Autor oder Co-Autor einer Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Landwirtschaft und Vogelschutz. Česká společnost ornitologická wurde 1926 gegründet und zählt aktuell rund 4000 aktive Mitglieder. Als Landwirtschaftsexperte sieht Zámečník die Ursache für die Bestandsrückgänge im Verlust von Lebensraum und Nahrung – den Insekten. Zámečník erklärt, dass grundsätzlich alle Vögel dasselbe brauchen: „A place to breed, a place to feed and a place to hide“. Mit Rückzugsorten und Nahrung sieht es allerdings immer schlechter aus. Randstreifen, Hecken, Bäume und Mauern werden seltenere – großflächige Monokulturen dafür immer häufiger. Zámečník erzählt, dass seit 1982 die tschechischen Vogelbestände jährlich erhoben werden. Während die Bestände von Kulturlandvögeln seit Beginn der Aufzeichnungen 1982 sanken, stiegen sie bis 1995 wieder auf rund 80 Prozent ihrer Ausgangssituation an. Zámečník erklärt, dass zu dieser Zeit viele Menschen ihre Agrarflächen zurückbekamen oder neu mit der Landwirtschaft begannen – oft war auch die Eigentümerfrage nicht geklärt. Bis 2000 fielen die Vogelbestände erneut. Von 2000 bis 2004 schienen sie sich endlich zu stabilisieren – wenn auch auf niedrigem Niveau. Mit dem Eintritt der Tschechischen Republik zur EU im Jahre 2004 und somit auch zur Gemeinsamen Agrarpolitik änderte sich dies wieder. Mit dem deutlichen Anstieg landwirtschaftlicher Intensität ist auch ein auffälliger Rückgang an Kulturlandvögeln und somit auch an Artenvielfalt zu verzeichnen.
Auch wenn Zámečník die Struktur der österreichischen Landwirtschaft als besser einschätzt als die der Tschechischen Republik, mit Artensterben hat auch Tschechiens Nachbar hart zu kämpfen. In den letzten 20 Jahren hat sich in Österreich der Bestand von Kulturlandvögeln laut dem Farmland Bird Index um 42 Prozent minimiert – europaweit sind ähnliche Zahlen zu erkennen.


Strafe statt Belohnung
Die Verhandlungen für die kommende Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2021 laufen bereits. Zámečník fordert eine Veränderung im Fördersystem. Landwirte sollen keine finanzielle Unterstützung von der EU bekommen nur weil sie die Artenvielfalt unterstützen – ihnen sollen Gelder gestrichen werden, wenn sie es nicht machen, so der Ornithologe. Er fordert mehr Randstreifen, Hecken, Mauern und weniger Einsatz von Chemie – und schon gar nicht auf den Randstreifen. Ansonsten werden Insekten immer weniger Nahrung finden und die Vögel somit ebenso. Zudem wünscht sich Zámečník im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik einen speziellen Fond, der sich für eine biologische Vielfalt, eine Landwirtschaft ohne Chemie, gezielten Maßnahmen für Arten und Feldgrößen von maximal 20 Hektar, die durch natürliche Grenzen unterteilt sind, ausspricht.
Eine Änderung im Fördersystem wünscht sich auch Erich Vodňanský. Der Landwirt erhofft sich von der neuen Förderperiode einerseits eine bürokratische Entlastung für kleinere Betriebe und andererseits den Einklang zwischen Produktion und Landwirtschaftspflege in Verbindung mit Biodiversität zu finden – und hier auch finanzielle Anreize zu schaffen. „Wenn wir als Gesellschaft von der Landwirtschaft Artenschutz und Biodiversität verlangen, dann müssen wir das auch adäquat entlohnen. Wir dürfen nicht alles dem Landwirt aufbürden. Ich glaube, dass ist eine der zahlreichen Herausforderungen, die die EU zu stemmen und das Agrarbudget zu reflektieren hat“, sagt Erich.
Der Gemeinsamen Agrarpolitik steht demnach eine der größten Herausforderungen seit ihrer Gründung bevor. Im Anbetracht des steigenden Interesses der Gesellschaft an Klima und Naturschutz werden auch die Verhandlungen zur kommenden Förderperiode immer kritischer betrachtet. Trotz allem sind die neuen Reformpläne der EU-Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik keine Verbesserungen beim Umweltschutz erwarten. Für die Zukunft der tschechischen Kulturlandvögel ist das insofern düster, da ihr Artensterben mit dem Eintritt in die Europäische Union 2004 nachweislich beschleunigt wurde und sich die Frage stellt, ob langfristig die Nachteile der Gemeinsamen Agrarpolitik die Vorteile nicht überwiegen. Welche langfristigen Auswirkungen der Schwund an Vögeln und für uns Menschen haben wird, ist schwierig einzuschätzen. Aufgrund ihrer natürlichen Tätigkeit als Samenverbreiter wäre das gesamte Ökosystem betroffen. Auch könnten weniger Vögel massive Insektenplagen bedeuten. In manchen Regionen der Welt würden ohne die gefiederten Freunde gar keine Pflanzen mehr bestäubt werden – und das sind nur die Folgen, die im ersten Moment absehbar erscheinen.
Der Text entstand im Rahmen von Eurotours 2019, einem Projekt des Bundespressediensts, finanziert aus Bundesmitteln.
